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P.M. Magazin 07/2010
Interview mit Alexander Unzicker
»Manche Theorien sind durchgeknallt«

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Eine Theorie, die das ganze Universum erklärt, steht noch aus. Der Physiker Alexander Unzicker hält die Jagd nach der Weltformel allerdings für absurd und empfiehlt: Bescheidenheit.

Eine Theorie, die das ganze Universum erklärt, steht noch aus. Der Physiker Alexander Unzicker hält die Jagd nach der Weltformel allerdings für absurd und empfiehlt: Bescheidenheit.

P.M.: Herr Dr. Unzicker, die Experten der modernen Physik werden von Ihnen ja ganz schön attackiert. Sie bezeichnen Hochenergie-Physiker als »Teilchenbuchhalter«, vergleichen das Forschungsgebiet der Stringtheorie mit einer Sekte und halten die Inflationstheorie für »Geschwätz«. Sind Sie ein Nestbeschmutzer?

Unzicker: Neu ist vielleicht meine Direktheit in der Formulierung, aber nicht der Inhalt dieser Kritik, die einige so sehen wie ich. Aber mir geht es eigentlich um wichtige Fragen der Physik. Die geraten bei den modernen Absurditäten in Vergessenheit.

Einsteins berühmte Relativitätstheorie kommt mit einer sehr einfachen Formel aus: E = mc2. Wenn man heutige physikalische Theorien sieht, dann hat man den Eindruck: Sie werden immer komplizierter. Woran liegt das?

Die Physiker bekommen die Fülle der Beobachtungen nicht mehr auf die Reihe. Durch jeden neuen Effekt wird so auch das theoretische Modell komplizierter. Isaac Newton hat gesagt: »Wahrheit kann man, wenn überhaupt, nur in der Einfachheit finden.« Die heutigen Theorien geben da leider ein trauriges Bild ab.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen Sie das von führenden Astronomen favorisierte Modell des Universums. Es geht davon aus, dass wir in einem Weltall leben, dessen Ausdehnung sich beschleunigt. Um das zu beschreiben, braucht man eine neue Zahl, die man bei Bedarf verändern kann, also eine Variable. Aber das Modell hat nun nicht mehr zwei Variablen wie früher, sondern sechs.

Warum gerade sechs?

Das ist es ja gerade: Kein Mensch weiß das. Man denkt nicht mehr darüber nach, sondern wird bald eine siebte und achte Zahl einführen, die ebenso beliebig sind. Und das wird dann auch noch als große Entdeckung gefeiert.

Womöglich lässt sich eine komplizierte Welt nicht mit einfachen Theorien erklären?

Das kann sein. Aber wir haben heute zu viele Forscher, die für alles, was sie nicht verstehen, leichtfertig neue Teilchen und Felder erfinden. Zu Einsteins Zeit galt dies als ein Eingeständnis des Versagens. Heute gibt es dafür Wissenschaftspreise.

Ihr kürzlich erschienenes Buch,
in dem Sie die heutige Physik kritisieren, heißt »Vom Urknall zum Durchknall«. Was ist denn Ihrer Meinung nach so durchgeknallt?


Nehmen wir nur mal die Inflations-Theorie, nach der sich das Universum unmittelbar nach dem Urknall auf ein Vielfaches seiner ursprünglichen Größe ausgedehnt hat. Selten hat eine banale Idee so viel Publicity erlangt. Es gibt einfach keine seriöse Datenbasis. Nicht nur der hoch angesehene Physiker Roger Penrose hält diese Theorie für kompletten Quatsch.

Soll das heißen, es gab keinen Urknall?

Es gibt Fundamentalkritiker, die seine Existenz bezweifeln, aber zu denen gehöre ich nicht. Trotzdem sind ihre Argumente manchmal interessant.

Die Annahme, es habe einen Urknall gegeben, ergibt sich ja aus der Beobachtung, dass sich das Universum ausdehnt. Kann man daraus schließen, es sei einst in einem Punkt zusammengeballt gewesen?

Wir wissen doch nur, dass das Universum einst kleiner, dichter und homogener war. Alles andere ist Spekulation, vor allem der punktförmige Urknall.

Man sieht heute also eine auseinanderstiebende Herde von Pferden, die einst in einem Gatter eingepfercht waren – und schließt daraus, die Tiere wären ursprünglich ein kompakter Fleischkloß gewesen?

Richtig. Man glaubt an diesen Kloß und analysiert ihn. Aber wir wissen nicht, was war, bevor sich das Gatter – das Licht des Mikrowellenhintergrundes – geöffnet hat.

Wir wissen immer mehr vom Universum, aber anscheinend nehmen auch die Widersprüche
zu. Stimmt dieser Eindruck?


Das Wissen nimmt mit der letzten Teleskop-Generation sogar sprunghaft zu, das ist fantastisch! Aber wenn man genau hinsieht, dann sieht man nun vieles, was nicht passt.

Zum Beispiel?

Man hat an den Rändern der Galaxien eine Drehgeschwindigkeit beobachtet, die höher als erwartet ist. Um die Widersprüche zu erklären, stellt man sich Dunkle Materie vor, was aber eine Scheinlösung ist. Nun kommt auch noch die Dunkle Energie dazu, die man erst recht nicht versteht. Je mehr man auf diese Weise flickt, desto mehr neue Lücken tun sich auf.

Sie schreiben sinngemäß: Einsteins Theorien sind klar und einfach,
die modernen Theorien dagegen kompliziert und windig. Aber die heutigen Physiker sind doch keine Dummköpfe?


Auch die Astronomen des Mittelalters waren keine Dummköpfe. Aber sie trugen Scheuklappen und weigerten sich, ein Modell über Bord zu werfen, das seit vielen Generationen etabliert war. Heute ist es wieder so, es wird viel nachgeplappert in der Physik. Gruppendynamik pur: Niemand will zum Außenseiter werden.

Die zwei wichtigsten Theorien der Physik, Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, sind doch beide gut bestätigt. Wo liegt das Problem?

Einsteins Theorie beschreibt die Schwerkraft und das Universum im Großen, während die Quantenmechanik die Welt im Kleinen beschreibt. Aber die Mathematik dazu ist wie Feuer und Wasser. Es können nicht beide Theorien richtig sein.

Die Anhänger der Superstring-Theorie sagen, dass sie diesen Widerspruch auflösen können. Sie glauben, dass alle Teilchen aus vibrierenden eindimensionalen Objekten bestehen, den sogenannten Strings. Wäre das nicht die Lösung?

Richard Feynman, einer der brillantesten Physiker, hat über die Superstring-Theorie gesagt: »Ich bin überzeugt davon, dass dies
alles Unsinn ist.« Er hat vollkommen recht behalten, denn den großen Worten der Theoretiker sind leider dreißig Jahre lang keine Taten gefolgt.

Aber nun gibt es ja Taten. Vor Kurzem ist es am Genfer Forschungszentrum CERN gelungen, im Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) Atomkerne mit bisher unerreichbarer Geschwindigkeit aufeinanderprallen zu lassen. Lassen Sie das nicht gelten?

Ja – und? Die Superstring-Theorie hat keine einzige Vorhersage gemacht, was man da finden wird. Auch am CERN gibt es einige Leute, die diese Theorie für Mist halten – aber keiner von ihnen macht den Mund auf.

Warum nicht?

Es würde die Öffentlichkeit zu sehr irritieren. Die »Weltmaschine« LHC, wie CERN sie nennt, hat schließlich mehr als drei Milliarden Euro gekostet.

Ist das Ihrer Ansicht nach rausgeworfenes Geld?

Nein. Man darf Grundlagenforschung nicht aus der Perspektive eines Finanzministers sehen. Konkrete Experimente sind immer besser als abstruse Theorien. Aber die Experimentatoren am CERN müssen einem fast leidtun: Sie machen gute Arbeit, wissen aber nicht, wonach sie suchen sollen, weil die Theoretiker sich wie Autisten aus der Experimentalphysik ausgeklinkt haben.

Hofft man nicht, dass im LHC das letzte fehlende Teilchen des Standardmodells der Physik entdeckt wird, das Higgs-Boson, auch »Gottesteilchen« genannt?

Es würde nichts Fundamentales erklären. Ich biete im Internet eine Wette an, dass es gar nicht gefunden wird.

Kann der LHC denn für die Kosmologie nützlich sein, indem er den Urknall simuliert? Oder uns sogar Hinweise geben, was vor dem Urknall war?

Es gibt ein paar Möchtegern-Einsteins, die darüber Theorien machen. Aber auch über die ersten Sekundenbruchteile nach dem Urknall erfährt man vom LHC gar nichts.

Aber wird dieses größte Experiment der Menschheit, wie CERN es nennt, nicht zu konkreten Ergebnissen führen? Manche hoffen ja sogar auf die Weltformel, die alle widersprüchlichen Theorien ersetzen könnte.

Man wird vermutlich etwas finden, was neue Fragen aufwirft. Und dann wird es heißen, die können wir nur mit einem noch größeren Teilchenbeschleuniger beantworten. Bis der dann gebaut ist, sind wieder ein paar Kritiker ausgestorben.

Sie zitieren in Ihrem Buch König Alfons von Kastilien, der um 1250 meinte: »Hätte mich der Herrgott bei der Schöpfung um Rat gefragt, hätte ich etwas Einfacheres empfohlen.« Er wurde nicht beachtet. Glauben Sie denn, dass man Sie ernst nimmt?

Nicht wirklich. Aber ich höre von vielen Wissenschaftlern, wenn auch manchmal hinter vorgehaltener Hand: Das musste endlich mal gesagt werden.

Es ist leichter zu kritisieren, als selbst eine Alternative anzubieten. Haben Sie eine?

Nein. Aber ich würde gern mit dem Philosophen Karl Popper antworten: »Wir wissen nichts, das ist das Erste. Deshalb sollten wir sehr bescheiden sein, das ist das Zweite. Dass wir nicht behaupten zu wissen, wenn wir nicht wissen, das ist das Dritte.«






Autor(in): Interview: Martin Tzschaschel

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Seite des Autors Unzicker
P.M.-Video zum CERN-Experiment
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